Miles Davis 5tett - 'Round about Midnight


Miles Davis in Vegesack


Was? Miles Davis war mal in Vegesack?!

Ach was! Quatsch!

 

Aber ich war das! Ziemlich viele Jahre sogar. Schließlich bin ich hier geboren und aufgewachsen.

Es war so um die Zeit kurz nach dem Abitur zwischen kurzer, mehr oder weniger zwangsweisen Arbeitspause und dem sog. Zivildienst. In dieser Zeit hatte ich zwar kein geregeltes Einkommen in monetärer Sicht, aber einige Monate intensiv Zeit, mich um meine Leidenschaft zur Musik und dem Musikerdasein zu kümmern. Da verdiente ich gewissermaßen auch dazu; immateriell und ordentlich.

 

Neben Bandproben - da komme ich sicher in meinem Blog auch nochmal drauf zu sprechen - waren es einfach auch die regelmäßigen Gänge zum Plattenhändler meines - oder besser - unseres Vertrauens.

Meine Kumpels und ich hatten damals in den späten 90ern exakt zwei Option zum Plattenkauf in Bremen Nord: Barlage und ear.

Barlage war eigentlich ein Kaufhaus für Elektronikartikel mit einem verflucht gut sortierten Plattenbereich im Untergeschoss. Da hab es natürlich dann auch den obligatorischen Fachmann hinter der Theke. Jogi ist heute noch in Nord anzutreffen. Der hatte immer den heißen Scheiss hinter der Ladentheke.

Und mein lieber Kumpel Günther langte da gern zu.

Mich führte es eher in den Plattenladen ear. Ebenfalls prima sortiert. Da waren es Arne und Franz, die uns die Kohle für die begehrten Silberlinge aus den Taschen zogen.

 

Meine Rockphase war noch nicht abgeschlossen; ist sie bis heute noch nicht und das ist auch gut so. Durch den Instrumentalunterricht bei einem Norder Bassisten (Hallo Michael!) und durch selber verordnete Privatstunden in Gehörbildung und Musiktheorie (Dein grüner Tee war mindestens genau so gut wie der Kuchen, lieber Hans) allerdings kam immer mehr die afroamerikanische Musik in mein Blickfeld. 

 

Es war wohl die Schul- und Musikerfreundschaft zu Matthias, der mich auf Miles Davis brachte. Matthias kannte ich aus der SEK II. Er spielte Trompete. Da kommt man an Miles nicht vorbei. Als wißbegierig Musiklernender wollte ich mehr wissen darüber, so dass ich an einem dieser Nachmittage in der Zeit zwischen Abi und Zivildienst im Plattenladen bei Franz (Inhaber von ear) stand und mich durch das gut gefüllte Fach zum Interpreten blätterte.

 

Und ich gebe zu: ich habe nach Cover ausgesucht. So wie das beim Wein manchmal auch passiert. Beim Silberling landete ich jedoch nen Volltreffer. Es gab wohl auch eine Einstiegsempfehlung zu Miles Davis von Matthias ("Kauf nicht die späten Sachen. Steig mit was Klassischem ein", so in etwa). Aber am Ende war es das Cover des Albums, was mich begeisterte und somit in der engeren Wahl landete.

Bei ear gab es natürlich auch die Möglichkeit des Probehörens. Meist musste man Schlange stehen. Ja, in Nord gab es auch Musikinteressierte; sogar eine richtig gut blühende Blues-, Rock- und Metalszene. Damals. Auch mal ein Thema für später...

 

Das Album "'Round about Midnight" bekam den Zuschlag von mir einerseits wegen des Covers, allerdings auch wegen des ersten Stückes auf der Platte. Das Intro zur Titelnummer aus der Feder von Thelonious Monk nimmt mich heute wie damals eng in seinen Bann. Doch alles Stück für Stück.

 

Cover

Das Cover zeigt ein Photo von Miles mit einer Hand am Ohr. In der anderen hält er sein Horn. Er trägt Sonnenbrille. Eine Runde, wie sie heute gerade wieder Mode sind.

Dieses Bild wurde nicht nur für mich zu einem geradezu ikonischen Bild zum Wesen und Ausdruck von Miles oder der Jazzmusik allgemein. Es gilt auch in Biographien und ähnlichem Lesestoff als typisch und charakterisierend für seinen Habitus:

introvertiert, konzentriert, focussiert und vielleicht auch genervt von seiner Umwelt. Und die war Mitte der 1950er Jahre noch feindselig genug in den Staaten für afroamerikanische Musiker.

Vielleicht kennen einige von Euch die Photographie eines blutenden, verletzten Miles in hellem Anzug vor dem legendären Birdland in New York. Er brachte eine Freundin zum Taxi, als er von einem weißen Cop aufgefordert wurde, weiter zu gehen. Als er sich weigerte, kam es zu einem Handgemenge. Dieses Ereignis wurde in der Literatur über Miles als persönlich einschneidendes Ereignis in seiner Karriere beschrieben. Miles taucht in Interviews später bisweilen zynisch und manchmal abweisend oder herablassend auf. Nicht selten sind es Weiße, die ihn interviewen.

Zudem zeichnet dieses Bild die Auftrittssituation der schwarzen Musiker im Big Apple um die 1950er Jahre recht scharf: rassistisch, missbilligend und nervös. Ob diese harte und feindselige Stimmung auch begünstigend für den Nährboden des Jazz war, ist eine Frage für sich. 


Photo: Marvin Koner
Photo: Marvin Koner

Zurück zum Plattencover!

Die Aufnahme des Photos stammt aus dem Jahre ´56 und wurde von Marvin Koner im Café Bohemia aufgenommen. Das Bild wird in Ashley Kahns "Kind of Blue" als milestypische Pose beschrieben. Über den Habitus von Miles auf der Bühne - beim Spielen drehte er dem Publikum öfter mal den Rücken zu - wurde wohl ähnlich viel fabuliert wie über sein musikalisches Werk an sich.

Sei's drum! Ich fühlte mich damals angesprochen vom Plattencover und verlor mich beim Probehören der CD im Intro des Titelstückes. 

Die Hörtheke bei ear war zum großen Schaufenster ausgerichtet. Wenn Du Musik gehört hast, hattest Du die Fußgängerzone vor Deinem Auge. Draußen zogen die Bremen Norder Omis und Muttis mit Kinderwagen vorbei und durch meinen Gehörgang zog die Musik des Albums und ich versank in den Klängen einer Musik, die mich in den nächsten Jahrzehnten prägen sollte. 


Das Titelstück zum Album auf Spotify.


Musik!

Was mich damals gefangen nahm an der Musik auf der Platte - zumindest bei einigen Nummern - war Ihre Stimmung. Sie war klanggewordene Gestalt des Plattencovers und drückte zusätzlich ein Gefühl aus, mit welchem ich seinerzeit durch die Welt ging, womit ich mich identifizieren konnte:

ich war versunken in den Wirkweisen und Mechanismen der Musik. Der ganze Tag war erfüllt davon und ich schöpfte Kraft und nährte mein Bewußtsein durch sie. 

Sicher, es gab auch Freunde, Frauen und Bier und so...

Also die Dinge, die einen jungen Menschen sowieso beschäftigen.

Die Identifikation über Musik schrieb ich groß. Manch anderer tat dies vielleicht mit seinem ersten motorisierten fahrbaren Untersatz oder so. Für mich wurde die Auswahl der Musik zur Triebfeder meines Handelns und dem inneren Kompass.

 

Die innere Einkehr war durch die Platte von Miles für mich noch mehr möglich. Sie öffnete mir die Tür. Das Intro vom Titelstück mit seinen langen Noten, der getragenen Phrasierung und das Zusammenspiel der Band erzeugen ein Wohlgefühl in mir, das ich bis heute verspüre, wenn diese Musik erklingt.

Auch "Dear old Stockholm" und "Bye bye Balckbird" sind zwei Nummern auf dem Album mit ähnlicher Stimmung.

 

Ich hörte die Platte damals gern Nachts, wenn Ruhe war. Die Dunkelheit passte zur Musik und verstärkte die Stimmung.

Wenn ich die Platte höre, schwebe weg aus dem Hier und Jetzt. Zu pathetisch?

Dann fehlt Dir der Soundtrack Deines Lebens! 

 

Die BeBop Nummer aus der Feder Charlie Parkers "Ah-Leu-Cha" skippte ich damals immer. Mir war das zuviel Jazz. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, außer dass ich trotz oder vielleicht wegen der ultraschnellen und buchstäblich unfassbaren Melodieläufe und dem hohen Tempo dieses Jazzstils mittlerweile ganz gut entspannen kann. Ich schalte die Birne aus. Das letzte Mal hatte ich dieses Gefühl, als ich vor ca. 4 Jahren mit einem Freund in der Kreissparkasse zu Syke dem Jazztrio "Phronesis" lauschte. Abschalten, wegschalten, ausknipsen. Musik als Aus-Schalter. Nicht schlecht.

Wer die Band kennt wird sich wundern, dass die gerade in der Kreissparkasse in Syke (kleines Nest bei Bremen) aufspielten. Syke, Kreissparkasse. Ich wiederhole das nochmal...

Offenbar gibt es in der Bank da jemanden, der auf Kunst steht und dafür sorgt, dass die in den oberen Hallen des Bankgebäudes auch stattfindet. An den Wänden hingen viele Gemälde. Fast 'ne kleine Kunstsammlung. Der Konzertraum war richtig gut, atmosphärisch wie akustisch. Musikalisch sowieso!


Photo: K. Teusner
Photo: K. Teusner

Zurück zum Album!

"'Round about Midnight" war mein erstes Jazzalbum, was ich mir damals kaufte. Ich habe mich im Laufe der Jahre von einigen Silberlingen getrennt, weil ich auf Vinyl und Streamingdienst umgestiegen bin. "'Round about Midnight" steht bis heute in meinem CD-Regal, wie zahlreiche weitere Miles Davis Alben! Die bleiben auch!

 

Es ist das erste Album, was Miles Davis für das Label Columbia aufnahm und veröffentlichte. Er war zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch unter Vertrag für Prestige Records und riß die dort vertraglich vereinbarten Alben (z.B. "Relaxin' with..." und "Groovin' with...") einfach ab, um flott zu Neuem aufzubrechen. Es war die Zeit vor dem legendären Miles Davis Sextett, mit dem er später dann unter anderem "Kind of Blue" aufnahm. Bis dahin bestand seine Combo aus fünf Personen. Darunter der zu dieser Zeit eher noch unbekanntere John Coltrane. Mit dem Eintritt in die Combo von Miles ging sein Durchbruch einher.

 

"'Round about Midnight" ist Hardbop und liegt zeitlich grob eingeordnet zwischen dem Cool Jazz (z.B. "Birth of the Cool") und der modalen Phase von Miles (z.B. "Kind of Blue").

Zur modalen Phase von Miles wird es in meinem Blog auch nochmal 'nen Beitrag geben. Dieser erscheint entweder in meiner Film- oder doch eher Musiksparte. Der ein oder andere wird schon wissen, worum es geht, wenn ich die Musik von Miles im Zusammenhang mit dem Kino erwähne.


Das gesamte Album auf Spotify.


In jedem Falle ist "'Round about Midnight" zeitlich in die selbstbewußte Durchstarterphase von Miles Davis einzuordnen. Er löst sich von Bands in denen er "nur" mitspielt und gründet eigene Combos. Er ist innovativ und festigt seine Rolle als Bandleader.

Über Miles komme ich ganz sicher noch das eine oder andere Mal zu sprechen. Wer bis dahin Lust hat, auch als Nicht-Jazzfan, etwas mehr über den Menschen "Miles Davis" zu erfahren, dem sei das Buch "Coolness. Über Miles Davis" von Tobias Lehmkuhl empfohlen. Kurzweilig und informativ; wie gesagt auch für Nicht-Jazzfans.

 

Weitere Lieblingsalben zu weiteren Künstlern - nicht nur Jazz, keine Bange - werden folgen in meinem Blog. Entscheidend sind für mich die damit verbundenen persönlichen Erinnerungen. 


Nächsten Sonntag beginne ich dann aber erstmal mit meinem ersten Beitrag in der Kategorie "Begegnungen".

Bis dahin bleibt zuversichtlich und vor allem gut im Tuning!

 

Und nicht vergessen:

"Immer wieder Sonntags kommt..."

 

Euer Kai 


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