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Musik im Film und Emotion


Musik im Film

 

Der Titel zum heutigen Blogbeitrag bedarf einer kurzen Ab- und Eingrenzung, denn das Feld um das Thema reicht bis ins Universum und zurück. 

 

Ganze Scores, berühmte Themes oder begleitende Musiken zur bloßen Untermalung spielen heute keine Rolle. Auch Details zu Hintergründen und Trivia spielen allenfalls eine kurze Nebenrolle. Das wäre einen Blogbeitrag an sich wert. Für den einen oder anderen Film mit seiner Musik fiele mir da für künftige Beiträge sicher was ein. Mal sehen...

 

Gegenbeispiele

Weil ich den Film vor Kurzem zum xten Mal gesehen habe, fällt mir bei Godfellas ab Spielzeit 1h28min ein passendes Gegenbeispiel ein. Hier kommt Gimme Shelter von den Stones zum Einsatz. Eine tolle Nummer, in einem tollen Film, keine Frage.

Bei besagter Filmszene hat der Titel allerdings lediglich begleitenden und weniger bleibenden, nachhaltig wirkenden Charakter. Die Musik wird ein- und ausgeblendet, die Sprechszenen stehen überwiegend im Vordergrund. Die Musik erhält hier weniger präsenten, tragenden, erzählenden oder stark stimmungsleitenden Charakter.

 

Nächstes Beispiel: Driver's Seat in Boogie Nights. Ein starker Song in einer eher schauspieldominierenden Szene. Eine Party, versch. Charaktere erzählen ihre Geschichte, es bahnt sich etwas an. Die Musik erzeugt hier weniger Spannung, mehr flankierende Funktion, Untermalung und mir zumindest geht es so, dass mich der sonst so treibende Titel in diesem Moment weniger emotional abholt. 

 

Genug der Gegenbeispiele!

 

Was mich heute umtreibt sind im Film eingesetzte Musiken, die stark emotionalisierenden Charakter in einer bestimmten Szene eines Films bei mir ausgelöst haben, also eine echt starke Atmosphäre ohne weitere Erklärung und Worte schaffen.

Ich stimme zu: Funktional eingesetzt Musik erzeugt im Bild immer eine gewisse Wirkung, Stimmung, Spannung oder Entspannung.

Es geht mir aber um die Wucht und die langanhaltende Wirkung, die tragende Funktion von Musik im Film.

So sind es oft die nonverbalen Momente im Film, einer Szene mit viel Erzählgehalt ohne Worte, die durch Musiken begleitet besonders mitreißende und stilbildende Wirkung in Message und nonverbaler Inhaltsvermittlung haben und nebenbei einen bleibenden Charakter erreichen.

Derart eingesetzte Musiken fungieren als stimmungstragendes oder -anhebendes Element im Film. Sie transportierten eine intendierte Emotion, vielleicht sogar die Kernaussage des Films oder wenigstens einer Szene. Es sind Musiken, die durch ihre Stimmung und Message für sich sprechen und eine Szene im Film extrem stark tragen und somit ein Bild doppelt fett unterstreichen.

 

Ihr findet hier heute eine vollkommen subjektive Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich freue mich daher um so mehr, wenn meine Beispiele Euch anregen, mir Eure "hängengebliebenen" musikalischen Begegnungen aus Filmen mitzuteilen und warum sie es wurden.

Einfach die Kommentarfunktion nutzen. Ich freue mich! 

 

 


Hier geht's zur persönlichen Auswahl; einer Playlist auf Spotify. Weiter unten schildere ich ein paar Gedanken zu den einzelnen Titeln nebst Filmszenen und unternehme den Versuch der Erklärung, was diese Musik und Szenen bei mir bewirkt haben. Und natürlich - wie immer in meinem Blog - geht's wieder um Biographisches und Persönliches in diesem Zusammenhang.


 

1. I'll be around - The Spinners (Film: Roman J. Israel, Esq. – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, Schlussszene und Abspann)

Ein ohnehin fesselnder Film, in dem es um Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und die fiesen Gegenspieler "Willkür und Macht" geht. D. Washington spielt den autistischen Roman J. Israel, der wegen seiner Fähigkeiten eine Anstellung in einer kleinen Kanzlei erhält. Es geht ihm gut.

Die dramatische Wendung passiert, als Israel seine Anstellung an seinem sicheren Ort verliert, da die kleine Kanzlei krankheitsbedingt geschlossen werden muss. Israel landet (wieder aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten) in einer großen, stark kommerziell ausgerichteten Kanzlei und gerät in den Sog ihrer Arbeitsweise.  Es entwickelt sich unglücklich für den Protagonisten. Das Schicksal von Israel wird traurig-tragisch gezeichnet, sein Geist allerdings von einem Mitarbeiter (C. Farrell) der Kanzlei weitergetragen und seine Ideale in einer bestimmten Rechtssache stellvertretend vor dem Gerichtshof beantragt. Ein Ausdruck indirekter und verspäteter Gerechtigkeit für die Hauptfigur.

Während dieser Schlussszene spielt der Song der Spinners und die über den Film angesammelte Emotion und transportierte Atmosphäre entlädt sich in dieser Szene. Die Szene wirkt zusammen mit der Musik wie eine Zusammenfassung aller Wünsche, Hoffnungen und Ideale des Protagonisten und macht gleichzeitig die Tragik der Lage deutlich.

 

Der Film - ich bin ohnehin ein großer D. Washington Fan - hat mir gut gefallen und mich berührt. Die Schlussszene wirkt zusätzlich auch aus privaten Gründen extrem stark. So wurde der Titel der Spinners in einer schwierigen Phase für mich zum Leitmotiv für aufrichtiges Handeln und einfach "da sein".

Ich sende küsse in den Himmel!

 

2. Alone in Kyoto - Air (Film: Lost in Translation, Szenenposition unbekannt)

Eine einfach herzerweichende Szene mit soviel Sehnsucht und Verlangen. 

Scarlett Johansson spielt Charlotte, eine junge Frau, die ihrem Freund, einem Werbephotographen im Jetsettaumel, nach Tokio folgt. Sie fühlt sich verloren im fremden Tokio, weit entfernt von Zuhause und ohne Aufgabe in der großen, fremden Stadt mit ihrer überladen wirkenden Vielfalt an Möglichkeiten. Nach einem Konflikt über unerfüllte Wünsche und Träume verlässt Charlotte das Hotelzimmer und wagt sich allein hinaus in die fremde Stadt. Charlotte lässt sich treiben. Impressionen.

Die Szene mit der Musik von Air wechselt zwischen der Einsamkeit mit träumerischen Blicken aus dem Fenster des Hotelzimmers hoch über der Stadt, Charlottes sich-treiben-lassens in Tokio und mündet in einem kunstvoll angelegten Garten eines Tempels. Charlotte beobachtet hier eine traditionell ausgerichtete Hochzeit. Das Brautpaar fasst sich zart und behutsam an die Hände (Nahaufnahme auf die Hände). Einverstanden und vertraut. Was für eine Symbolik! Das Minenspiel Charlottes lässt innige Sehnsucht, Traurigkeit und Selbsterkenntnis erahnen. Ein starker emotionaler Moment.

Der Ort des Geschehens hat oasenhaften Charakter, wirkt in der Metropole exotisch, fast entrückt. Diese Bildsprache (traditionelle Hochzeit in hochmoderner Stadt) bringt Charlottes heimliche Wünsche unausgesprochen zum Ausdruck.

Der Einsatz von Airs "Alone in Kyoto" in dieser Szene ohne Sprechtext erzeugt durch ihren Charakter das Gefühl der Zerbrechlichkeit menschlicher Empfindungen, Wünsche und Ideale. Das in Verbindung mit den fein gezeichneten Kleidern der Hochzeitsgesellschaft wirkt geradezu anachronistisch zu Charlottes Welt.

In dem Moment, wo die Musik ihren Höhepunkt erreicht (vokale Klänge schwellen an) ist einem zum Weinen zu Mute. Gleichzeitig steckt soviel Hoffnung und Möglichkeit in diesem Moment.

Sowieso ein Wahnsinnsfilm mit einem unverwechselbaren B. Murray als Quasierlösung für Charlottes Dilemma.

Noch nie gesehen? Unbedingt anschauen!

 

3. Night Search - J. Williams (Film: Jaws, Minute 47:10)

Ok, ok, der Streifen zählt ohnehin zu meinen absoluten alltime High-Lieblingsfilmen. Das wissen einige von Euch. Und J. Williams als Komponist zahlreicher berühmter Soundtracks ist an sich eine gesonderte Erwähnung wert. Kommt vielleicht mal. Dann würde ich neben dem grandiosen Star Wars Score sicher auch ein paar Takte zu dem Jaws Score verlieren, doch heute geht's mir hier um eine eher kurze Sequenz in Spielbergs Horrorklassiker.

Der Film läuft bereits und Zuschauer wie auch Protagonisten wissen, was Sache ist. Zumindest so grob. Die ersten Leichen und Schockszenen sind abgefrühstückt, die Grundlage für Thrill und Tension gelegt als Chief Brody und Matt Hooper - das ungleiche Gespann - sich nachts mit einem kleinen Motorboot auf den Weg vor die Küste machen, um einen verschollenen Bewohner des kleinen, sonst so verschlafen-idyllischen Städtchens (lustig, wie bei E.T.) Amity zu suchen.

Da der Zuschauer spätestens vom Filmplakat weiß, dass es um die offene See und einen bestialischen Killerhai geht und Dunkelheit sowieso immer ne doofe, angstbesetzte Sache für viele Menschen darstellt, reicht ein Kameraschuss in die Dunkelheit mit dem kleinen, beinahe verloren wirkenden Motorboot auf dem Ozean, um eine spannende Grundstimmung zu erzeugen.

Es kommen zusätzlich der Spot des Suchscheinwerfers und Nebel mit ins Spiel. Die Musik gibt ihren Part dazu. Die Filmszene strotzt jetzt vor Spannung, Geheimnis, Unbekanntem und erzeugt durch die Dunkelheit und den Nebel eine konzentrierte Begrenztheit, fast schon klaustrophobische Enge. Williams "Night Search" hat etwas Schleichendes und ja, ganz einfach etwas "Suchendes". Der Titel liegt wie ein geheimnisvoller, bedrohlicher Schleier auf der Filmszene. Treffender und fesselnder können Bild und Musik kaum wirken.

Allein den Kameraschuss auf das Boot sehe ich noch mehr aus der Totale vor meinem geistigen Auge. Im Film fährt das Boot näher an der Kamera vorbei. In einer Totalen wirkte das kleine Boot noch verlorener, einsamer und kleiner. Spielberg konnte mich damals noch nicht um Rat fragen. Es sollte noch ca. 2 Jahre dauern, bis ich das Licht der Welt erblicken sollte. Der Film erschien 1975 und gilt heute als erster Blockbuster mit Horrorelementen.

 

4. Shadow on the Sun - Audioslave (Film: Collateral, 1:16:30)

Ein ganz besonderer Film mit einem außergewöhnlich vielschichtigen T. Cruise (Vincent) und J. Foxx als Taxifahrer Max, der eigentlich nur "auf der Durchreise" ist, bis er sich seinen Traum eines Limousinenservice in Eigenregie erfüllen kann. Der Taxifahrer lernt während einer Fahrt in seinem Taxi die junge, attraktive Anwältin Annie kennen. Es knistert und Vielversprechendes könnte sich anbahnen. Dann tritt Cruise - Auftragskiller Vincent - als neuer Fahrtgast ins Blickfeld der beiden Personen und Max gerät in einen Sog aus Gewalt und Tod. Der Film wirkt wie eine fallende, wertvolle Vase in Zeitlupe. Der Betrachter weiß, die Vase wird zerspringen, brutale Zerstörung wird passieren und eine offenbar unvermeidbare Katastrophe bahnt sich an. Schleichend, wenn auch zielgerichtet.

 

Die kraftvolle Nummer von Audioslave läuft in einer der Taxiszenen. Max fährt Vincent durch das nächtliche L.A. Sie unterhalten sich. Vincent fällt die Visitenkarte der jungen Anwältin auf und spricht Max darauf an. It's getting personal! Vielleicht ist das sogar die Schlüsselszene, der Moment, der alle drei Personen in verheißungsvolle Verbindung zueinander bringt. Der Zuschauer ahnt noch nichts und ich verzichte auf das Spoilern.

Die Musik entfaltet ihre Wirkung so richtig auch erst nachträglich-verzögert oder vielleicht auch erst, nachdem ich den Film einige Male gesehen hatte und daher wusste, was mich erwartet und wie die Beziehungen liegen. In jedem Fall kommen hier die nächtliche Melancholie, scheinbare Ausweglosigkeit und eine unausgesprochene, bedrohliche Konsequenz zum Tragen. Die Musik setzt ein, als beide sich im Wagen einen Moment anschweigen und Vincent aus dem Wagenfenster schaut. Ein Wolf überquert die nächtlich-leere Straße in der Großstadt. Das Bild des einsamen Wolfs in Verbindung mit einem mehrsekündigen Close-Up auf Cruises Gesicht und sein Minenspiel lassen eine ungute Ahnung aufkeimen. Wenige, aber beklemmend intensive Sekunden.

Es folgen stimmungsvolle Kamerafahrten und -schwenks durch die Nacht L.A.s und die Cops nehmen die Spur des gesuchten Killertaxis auf.

Die Musik von Audioslave ist hart, schroff, gewaltig und erzeugt zusammen mit den Bildern eine tiefe Melancholie. Die Musik schreit ihre Message lauthals in die Nacht und einige der Textzeilen erzeugen eine tragisch-grausame Sicht auf die Dinge:

„And I can tell you why
people die alone

I can tell you I'm a shadow on the sun

Staring at the loss
Looking for a cause
And never really sure
Nothing but a hole
To live without a soul
And nothing to be learned

And I can tell you why
People go insane
I can show you how
You could do the same
I can tell you why
The end will never come
I can tell you I
m
A shadow on the sun

 

Der Film wird gern auch als Neo-Noir Film bezeichnet und in vielerlei Belang ist das stimmig:

Melancholie, Dunkelheit in Bild und Emotion, starke Kontraste im Bildausdruck, scheinbar ausweglose Situationen und bedrückende Stimmungen. Dazu ungewöhnliche, oder sagen wir mal unkonventionelle Kamerafahrten,- schüsse und -bilder. 

Besonders in dem kurzen Moment mit dem Wolf und der Musik wird mit den Parametern des Film-Noir gespielt und die Musik knallt voll mit rein.

Für mich eine der coolsten Szenen im Film!

 

5. Strawberry Letter 23 - The Brothers Johnson-Version (Film: Jackie Brown, Minute 20:20)

Es ist die „Beaumont“-Szene mit S.L. Jackson, der den peinlich-komischen und doch brandgefährlichen Kriminellen Ordell Robbie spielt. Viel zu erklären dazu ist eigentlich nicht. Beaumont, ein Handlanger Robbies hat gefälligst in den Kofferraum zu steigen und Jackson setzt sich – scheiße cool – hinter das Lenkrad seines schwarzen, nicht minder coolen Amischlittens (Marke Gangsterlimo), um Beaumont buchstäblich mal eben um die Ecke zu bringen. Es ist der Moment der Nahaufnahme auf Jackson mit seinem peinlich exakt gestylten Kinnbart, der sich lässig die Lederhandschuhe am Lenkrad über die Hände streift, in der der Titel von den Brothers Johnson einsetzt. Der Moment mit den Handschuhen und der Musik hat sich einfach eingebrannt in mein Rückenmark. Die Verbindung aus Bild und dem Groove der Musik mag einerseits typisch cool Tarantino sein und daher ohnehin Kult. Aber es ist für mich auch die Stimmung des fast absurden Dialogs zwischen Ordell und Beaumont mit Ordells offensichtlicher Absicht. Aus heutiger Sicht mögen diese und weitere ähnliche Szenen des Films als stereotyp und möglicherweise auch ethnisch-klischeehaft bewertet werden. Mir reicht es zu wissen, dass Tarantino einen Shice auf derartig plumpe Wertungen gäbe und vermutlich sogar selbstverständlich nicken und ergänzen würde: „Hey, der Film ist verflucht nochmal eine augenzwinkernde Hommage an den Blaxploitation-Film.“ Die wiederum ihrerseits damals in ihrer bewußten Übertriebenheit in Teilen bereits eine Stereotypisierung an sich darstellten.

Anyway: Strawberry Letter – ursprünglich ein Song aus der Feder von Shuggie Otis und berühmt geworden durch besagte Brüder – entfaltet einen Vibe, der die Szene intensiv und aktiv begleitet und den Coolnessfaktor deutlich steigert.

 

6. Across 110th Street  - Bobby Womack (Film: Jackie Brown, Anfangsszene)

Der Titel allein stellt das Thema Drogen als gesellschaftspolitisches Phänomen seiner Zeit kritisch dar und eignet sich – plakativ platziert – ganz wunderbar als Eröffnungstitel für den Film. Er begleitet die wunderbare Pam Grier – die Königin des Blaxploitationfilms – in der Rolle der unglückseligen Drogenkurierin Jackie Brown in einer Flughafenszene. Pam Grier – in einem figurbetonten knallblauen Stewardessdress gekleidet – rollt auf einem Rollband durch ein Flughafenszenerio. Die Kamera fängt sie kerzengerade stehend aus dem Profil ein. Stolz und gut gelaunt rollt Jackie durch das Bild und Bobby Womack singt dazu sein musikalisch gerahmtes Szenario der berühmten 110. Strasse von New York City. 

Ehe ich damals genau wußte, was genau die 110. für NY lange Jahre darstellte, wurden Eröffnungsszene und Musik für mich zu einem Schlüssel für die Tür der afroamerikanischen Musik und weckten mein Interesse am Black Movement. Danke Quentin, danke Pam!

 

7./8. Lucia di Lammermoor / The Diva Dance - Eric Serra, Inva Mula (Film: Das fünfte Element)

Luc Besson ist der zeitgenössische, europäische Meister des kunstvollen Bildes und der Dramatik. Keine Frage. Das bunte SciFi-Märchen mit dem ungleichen und doch so wunderbaren Filmpaarmatch M. Jovovich und B. Willis ist von der Bildgewalt und -sprache ein intensiver Fall für sich. Knallbunt perlt die Story über den Fimprojektor und setzt eine komische, actiongeladene, bildstarke und entwaffnend fesselnde Szene nach der Nächsten frei. Ein Feuerwerk der Unterhaltung.

Eric Serra, der Haus- und Hofmusiker Bessons, setzt durch seine eigentümliche und doch leserliche Handschrift musikalische Akzente. Durch den ganzen Film. Besson und Serra sind im Grunde kaum noch trennbar und auseinander zu denken. Beide gehören zusammen und ergänzen sich. Zusammen schaffen sie fesselnde, unvergessliche Momente des großen Bildes.

Meine Traumszene, die mich ebenso fesselt, wie das Schauspielpublikum auf dem Kreuzfahrtraumschiff in der Filmszene, ist die kunstvolle und künstlich wirkende Verquickung von Außerirdischenästhetik, klassischer Musik und dem fließenden ineinander übergehen Song des Diva Dance, die nur zusammen eine explosiv-emotionalisierende Wirkung erzeugen. 

Stellvertretend für das aufkeimende Böse und Unheilvolle steht die die Divaszene auf dem Kreuzfahrtschiff. Plava Laguna besingt geradezu seherisch die bedrohliche Entwicklung der Geschichte. Es ist ein Moment der Zerbrechlichkeit, Verletzbarkeit, des Zauderns und der Ungewißheit. Das Publikum im Opernsaal des Kreuzfahrtschiffes ist überwältigt von der Strahlkraft und der Aura der Diva.

Die knapp 5minütige Szene wird durch ihre Aussagekraft und das prophetische Element zu einer Scharnierszene im Film.

Die Verquickung der transportierten Empfindsamkeit, der Message und dem unglaublich mitreißenden Groove zusammen mit dem parallel stattfindenden cool durchchoreographierten Kampf zwischen Leeloo und den Schergen Zorgs ist für mich eine der stärksten Szenen im Film. Die Musik groovt das Bild!

 

9. Sweet Dreams - Emily Browning (Film: Sucker Punch, Anfangsszene)

Oxford, April 2011. Ich besuche einen Freund in besagter Stadt. Wir bummeln durch Oxford und London und verleben gesellige Momente miteinander. Es ist nach unserer heutigen Erinnerung der letzte Abend, wir haben noch Zeit, bis mein Flieger zurück nach Hause geht, und Felix regt nach dem Genuss einiger Biere und einer gemeinsamen Flasche Pimms – traditionell zubereitet („Das mußt Du unbedingt probieren!“) – an, sich den neuen Zack Zinder Film im Comic- und Steampunkstil anzusehen. Ich weiß nicht genau, was mich erwartet, lasse mich aber drauf ein. Wir sitzen angeschossen in einem Programmkino in Oxford und ich gerate in den Strudel der Handlung. Der Film ist wie ein Sog, wirkt, wie der Titel es verspricht: den Zuschauer trifft ein unerwarteter Schlag, ein Wechselbad der Gefühle aus Zorn, Ungerechtigkeit, Tragik, Gewalt und Hilflosigkeit schlagen uns ins Gesicht.

E. Brownings nebelartig-bedrohlich-schleichende Interpretation von Annie Lennox (Eurythmics) Hit begleitet die schier vor Ungerechtigkeit spritzende Anfangsszene und ebnet durch die anschwellende Dramatik in der Musik die zu erwartende Richtung des Films. 

 

10. Army of me - Björk (Film: Sucker Punch, Minute 29:00)

Babydoll kämpft gegen ihre inneren Dämonen. Diese treten immer wieder in alptraumähnlichen Sequenzen im Film zu Tage. In Minute 29 tritt sie gegen den ersten Endgegner dieser Sequenzen an: ein samuraiähnlicher Dämon. Übermenschlich groß, furchteinflössend und scheinbar unbesiegbar. Gewaltiger könnte die Symbolik (für Babydoll) nicht sein. 

Textlich spricht Björk der Protagonistin geradezu aus der Seele.

 

„If you complain once more, you’ll meet an army of me!”

 

Der stampfende Beat der Musik Björks ist auch hier choreographisch fein mit den Bildern und einzelnen Bewegungen der Personen in der Szene abgestimmt. Die Szene bekommt durch die Musik etwas Unaufhaltsames, Starkes und Entschlossenes.

Mir fällt dazu folgende Begrifflichkeit ein: Groove im Bild!

 

Durch die Materialsichtung zum Blogbeitrag wird mir jetzt selber besser klar, worum es mir geht:

Es geht um die Verbindung emotional geladener Filmszenen mit einer fein abgestimmten Musik. Eine Verbindung, die ein homogenes Bild, einen Fluss, einen Groove erzeugt, dem Du Dich nicht mehr entziehen kannst. 

 

Danke Felix für die grandiose Idee, diesen Film zu schauen. Ich habe ihn seit dem drei oder vier weitere Male zu Hause geschaut und bin jedes Mal geschockt.

 

11. Maybe Tomorrow – Stereophonics (Film: L.A. Crash, Schlussszene und Abspann)

Ich schließe meine knappe Sammlung mit dem Pychogramm einer Großstadt  und ihrer Menschen aus der Feder von P. Haggis. Ein bischen ist der Film im Stil von Altmans „Short Cuts“ aufgezogen: Es geht um Episoden, die im Laufe des Films eine Verbindung zueinander aufnehmen oder bereits zu Beginn eine Gemeinsamkeit haben. In L.A. Crash ist es der Großstadtdschungel mit seinem Dickicht an Gefühlen, Kulturen, Unverständnissen und Mißverständnissen. Passend erscheint mir vor allem der letzte Begriff. Haggis schafft es, ein sensibles Bild zwischenmenschlicher Mißverständnisse zu zeichnen, welches in Gewalt, Ungerechtigkeit und Mißtrauen mündet. Die Vielzahl der einzelnen Schicksale und Episoden macht unweigerlich deutlich, dass der Argwohn allgegenwärtig und vor allem in der Großstadt zu kulminieren scheint. Das war 2004.

Alltäglichkeiten laden sich auf, entladen sich gewaltig und Menschen reagieren mit teils gewaltigem Unverständnis und ablehnender Befremdung. Die Erzählweise des Regisseurs und die großartige Leistung des Cast holen den Zuschauer direkt und unvermittelt ab. Die Geschichten sind mit- und herzzerreißend. 

 

Ein paar Handlungen werden geklärt, es gibt eine gewisse Reinigung und Erleichterung (für den Betrachter) und doch verdeutlicht die Schlussszene, dass sich alles in einem schier endlosen Kreislauf zu bewegen scheint, in dem es keinen Anfang und kein Ende gibt. Es hört niemals auf!

In dieser Szene schmettern die Stereophonics ihr „Vielleicht ja morgen“, ein Lied, was im Kontext des Filmplots auch als Wille und Sehnsucht, Dinge zu verändern interpretiert werden könnte. Die vermeintliche menschliche Schwäche, dies auch in die Tat umzusetzen stellt uns immer wieder ein Bein und wir sind angehalten, genau hinzuschauen, bevor wir urteilen, handeln und tun.

Der Titel „Maybe tomorrow“ entfaltet durch den Schwenk der Kamera über die Strassenszene über den (ungewöhnlichen) Schneefall L.A.s eine seltsam-schöne Gefühlsmischung aus Sehnsucht, Leichtigkeit und Melancholie. Der Titel entschwindet in die Nacht, die Rolltitel folgen.

Zurück bleibt ein tief nachdenklicher Zuschauer. So zumindest ging es mir. 

 

Tschüss und danke für’s Zuhören!

 

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