Herbie Hancock in Hamburg – Juli 2025 | Ein Gegenbericht zum Micky Mouse-Artikel aus dem Hamburger Abendblatt vom 02.07.2025


Mit Rezensionen ist das manchmal so’ne Sache: mal haben sie etwas (be-) wertendes und manchmal sind sie schreiend ungerecht subjektiv. 

Anlass bietet der Bericht zum Konzert aus dem Hamburger Abendblatt. Dieser Bericht zum Konzert hat was Befremdliches und weist zugleich eine beinahe naive Erwartungshaltung gegenüber des Jazz auf, so dass man glauben könnte, jemand höre diese Musik zum ersten Mal.

Ich habe den Bericht des Redakteurs zwei Mal lesen müssen, um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich alles richtig verstanden habe. Es liest sich, als wären wir auf zwei unterschiedlichen Ereignissen gewesen. Zusätzlich weist er leider Unkenntnis in mancherlei Dingen auf.

 

Daher also mein Konzertbericht; ultrasubjektiv und doch versucht gerecht. 

Ich verzichte in meinen Schilderungen dabei so gut es mir gelingt auf Vergleiche zu besagtem Artikel aus dem Abendblatt. Aus verschiedenen Gründen. 

Am Ende unten findet Ihr einen Screenshot aus dem Hamburger Abendblatt (digitalVersion) und ein Link zum Artikel vom 04.07. Ich hatte eine Leseversion vom 02.07.

Mal schauen, ob Ihr erkennt, weswegen ich so verärgert nach seiner Lektüre war.

Die Subunterschrift meines Blogbeitrages habe ich natürlich lediglich aus reißerischen Beweggründen gewählt. Ganz nach Vorbild der „Großen“. 

 

 

 

Here we go

 

Dienstag früher Abend in Hamburg. Es sind heiße 30 Grad, die Stadt flimmert als mein Kumpel und ich aus dem klimatisierten PKW aussteigen. Haben direkt am Veranstaltungsort geparkt. CCH am Radisson Hotel. Parkhaus. 3€/Std. Wir sind positiv überrascht und freuen uns, nach einer erstaunlich guten Fahrt auf dem Highway und durch die Stadt nun noch knapp zwei Stunden bis zum Einlass in das recht frisch sanierte CCH Zeit zu haben. Wir schwitzen und trinken.

Bild: Kai
Bild: Kai

Die Sanierung  des CCH hat sich ausgezahlt. Das durfte ich einige Wochen zuvor auf einer außermusikalischen Veranstaltung sehen. Obwohl, da wurde auch gesungen und Gitarre gespielt. Das ist aber ne ganz eigene Geschichte. 

Das CCH habe es nötig gehabt und nun erstrahle es in neuem Gewand, wurde mir erzählt damals. Und in der Tat: es schaut gut aus. Der schwierige Spagat zwischen universeller Funktionalität und einem brauchbaren Ambiente erscheint mir gelungen, zeitgemäß und wirklich gut. Sowohl von außen, im Foyer und auch im großen Veranstaltungssaal gibt es optisch und baulich wie in der Nutzung annehmliche Neuigkeiten. 3000 Personen können Platz nehmen im großen Saal. Heute seien es leider nur knapp die Hälfte, erfahre ich und frage warum?

Es sei offenbar ein zu ungewöhnlicher Ort für den Besucher von Jazzkonzerten. Mag was dran sein an der Begründung. Ich kann das nicht nachvollziehen und kann mir ein Konzert dieser Kategorie in den Räumlichkeiten gut vorstellen. Geht halt nicht immer Laeiszhalle oder Elphie.

An letzterem Ort habe ich Herbie übrigens einige Jahre zuvor schonmal gesehen. In veränderter Besetzung als an diesem Abend im CCH.

 

Mein erstes Mal

 

Mein erstes Mal Herbie war allerdings schon um 2001 in Machester. Da war er mit dem Future II Future Projekt unterwegs. Es war ein Zufall, ich aus privaten Gründen in der coolen Stadt und das Konzert fiel in den Zeitraum meiner Verweildauer. Schöner Zufall!

Herbie spielte damals in angesagter Elektrobesetzung mit DJ und einem speziellen P.A.-Soundsystem. Quadro- oder Surround oder so. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Erinnern kann ich hingegen einen gut gelaunten, begeisterten und interessierten Künstler, der das Publikum mit einbezog und es fragte, ob alles prima zu hören sei. Er erklärte uns das Sounddesign mit seinem für ihn so typischen Lächeln. Einer offenherzigen Freundlichkeit und scheinbar naturgegebenen Neugier auf das, was da kommt.

 

Der Innovator als Spiegel der Zeit

 

Wer Herbies Wirken länger verfolgt, weiß um seine Innovations- und Experimentierfreude. Das beschrieb Miles Davis bereits in seiner Autobiographie. Da war Herbie noch jung und hantierte mit elektrischem Kram herum. Es schien ihm weder peinlich gegenüber dem Publikum, noch unangenehm dem Mentor Miles gegenüber, dass er es vorzog, auf der Bühne unter seinem Instrument knieend nach der Steckdose für sein Aufnahmegerät zu suchen, als zum Teufel noch mal seinen Job zu machen und einfach zu spielen (Miles Davis, S. 336).

Herbie Hancock ist nicht nur bekennender Buddhist, Weltmensch und ein freundlicher Kerl, er war auch immer schon darauf aus, Neuem gegenüber mit einer spielerisch gearteten Neugier gegenüber zu treten. Probieren, scheitern, justieren, weiter probieren und machen. Wie in einem Labor.

Ich weiß nicht, vielleicht ist das der Schlüssel zum Erfinden und Erneuern. Vielleicht ist das auch der Kern des Jazz? Erzähl das mal dem Journalisten des Hamburger Abendblatts!

 

Herbie stand auch gern mal in der Sesamstraße und hat seine Tasteninstrumente und computergestützten Keys und Sounds erklärt und vorgemacht. Und das ebenfalls in einer kindlichen Freude, die einerseits prima zum Kinderformat passte und zugleich Lust auf mehr und einfach viel Spaß machte. Da steht er und lacht zusammen mit den Kids über computerveränderte Stimmen der Kinder. Er erreicht neben dem Spaß und der Freude, die alle verspüren in seinem Umfeld auch was Pädagogisches, etwas Beibringendes und Verbindendes.

Während ich hier gerade schreibe, höre ich eine Version von Herbies „Cantaloupe Island“. Derer gibt es zahlreiche. Aus jeder Phase mal ne neue Version. Und allein jede dieser Versionen dieses Titels oder des Wassermelonen Kerls zeigen, wie vielfältig und offenherzig Herbies Umgang mit Veränderungen ist. Hört es gern mal nach.

 

Zurück zum Abend des 1.Juli in Hamburg. Nach zwei leckeren Drinks bei Planten und Blomen und keinerlei Bedürfnis nach fester Nahrungsaufnahme – es ist schlicht zu heiß – begeben wir uns in das CCH. Das Publikum gemischt, allerdings überwiegend älter, weiße Haare, die typischen Cordhosen und speziell „künstlerisch“ gemusterten Hemden dominieren … Jazzmusikhöreruniformierung eben. So ist das eben. 

Ein paar Gäste wirken auch ein bisschen wie zufällig erschienen. Interessante Mischung.

An der Abendkasse die ersten Querelen mit Leuten, die offenbar auf der Gästeliste stehen und noch immer unzufrieden sind mit ihren Plätzen …

Wir sind gleichsam Gäste einer Liste, hingegen aber total zufrieden. Freuen uns. Sind gespannt und mein Kumpel sagt wohl zum zweiten Mal heute: „Schon krass, oder? Gleich gucken wir Hermann Hühnchen!“ Recht hat er. Mit beidem. Wir erhalten unsere Tickets und trollen uns.

Es geht mit weiteren Freundlichkeiten weiter. Wir werden mit einem Getränk im Foyer empfangen. Danke nochmal!

Euch reicht’s jetzt mit dem Vorgebimmel? Ok, ok!

 

Das Konzert

 

Herbie betritt die Bühne und alle freuen sich mit entsprechendem Beifall. Noch vor dem ersten Ton begrüßt der Künstler die Menge mit einer Frage. Sinngemäß heißt es: heute spielen wir ein bischen irres Zeug. Habt ihr Bock auf Irres Zeug?

Alle klatschen brav, vereinzelt bemüht bekennende, aber schüchtern-verhaltende „yeah“-Rufe.

Richtig so. Ihr werdet Euch noch wundern! 

Herbie legt mit seinem Lineup in einem absolut zeitgenössischen Sounddesgin los: viele Effekte auf den Instrumenten, krasse Versatzgrooves in teils irrem Tempo von einem 26jährigen Trommler, der mich und meinen Kumpel total begeistert. Vom ersten Moment an. Später erkennen wir, wie sehr Herbie Hancock und der Trommler (Jaylen Petinaud) zusammen musikalisch in Kommunikation gehen; spontan, improvisiert und auf den Moment gemünzt. Jazz!

Das macht so irre Spaß zu zugucken.

 

Bild: privat
Bild: privat

Besonders gespannt sind wir auf Terence Blanchard, der ebenfalls mit auf der Bühne steht und für Trompete und Synth einsteht. Blanchard ist nicht nur bekannt als das musikalische Gewissen von Spike Lee, dem US-Filmemacher. Blanchard hat neben seinem Wirken als Filmmusikkomponist auch einiges an Gigs und Livekonzerten auf dem Buckel. 

Blanchard spielt an diesem Abend viel mit dem Harmonizereffekt, doppelt sein Horn und verschafft dem Klangbild der Band dadurch etwas Orchestrales; mit künstlicher Nuance. Es wirkt gewollt und bewusst eingesetzt und ich erkenne einen gewissen Stil, den Blachard auch bei seinen eigenen Projekten zu Tage bringt.

Uns wird es manchmal zu viel mit den Dopplungseffekten und so freuen für uns auch über den einen oder anderen „trockenen“ Hornton, den Blanchard gleichermaßen perfekt bedient.  

Gitarrist (Lionel Loueke) und Basser (James Genus) machen klanglich Platz für den Star des Abends, aber auch für Trommler und Blanchard. In ausgewählten Momenten und musikalischen Passagen zeigen die beiden schließlich ihre Virtuosität. Loueke lässt afrikanische Folklore singend einfließen und Genus nutzt in einem Solo die Gelegenheit zum Loopen seines Basses, um sich dann selber zu begleiten. Ich mag das, nutze es selber gern; vor allem als Moment der Improvisation und des freien Assoziierens und Verarbeitens von Einfällen.

Wer selber Musik macht und Soli spielt, weiß wie schwierig es manchmal ist, den passenden und klingend wirkenden Ausstieg aus seinem Solo zurück in den Bandkontext zu finden. Es hat was Beruhigendes, dass dies auch den Großen auf der Bühne passiert. Der Wechsel seines schönen Basssolos zurück in die Band kommt leider ein bisschen plötzlich und abrupt. Sei’s drum.

 

Herbie lässt es sich nicht nehmen, den Vocoder zu nutzen. Er hat ihn bereits unter anderem bei „Rock it“ in den 80ern eingesetzt. Durch die Vocoderstimme erreicht uns eine Art Predigt. Nicht so lang wie in der Kirche und weniger sakral, aber es hat was etwas religiöses und entwaffnend simpel Universelles.

Es gäbe nicht den einen guten und den anderen schlechten Mensch. Es gäbe eben beides in einem Menschen. Gut und schlecht gehörten zusammen. Seien eins. Da spricht der Buddhist.

Er fragt das Publikum, wieviel Familien es auf der Welt gibt? Er muss es dreimal Fragen, weil entweder keiner sich die Mühe gibt, mal zu zuhören, sich einzulassen oder schlicht kein Englisch versteht. Soll ja vorkommen…

Endlich ruft einer rechts von uns: „One!“

Herbie ist erleichtert, zeigt in Richtung des „Erlösers“ und fährt fort. 

Die universalistische Message zu Frieden und gegenseitiger Unterstützung mag schon viel zitiert worden sein. Es mag auch sein, dass einige es nicht mehr hören können, weil es ändere sich ja eh nichts und wir wollen jetzt hier heute einfach mal abschalten…

Sorry, Leute. Jazz ist eben auch historisch politisch verwurzelt. Da passt das hier heute schon auch ganz gut ins Bild.

 

Stimmung

 

Leider kommt hier, und an weiteren Stellen am Abend, wenig oder nur gebremste Begeisterung im Publikum auf. Wir sind uns sicher: das liegt am Set, am Material, was sie spielen und vor allem wie sie es spielen. Es kommen zwar bekannte Zitate oder gar bekannte alte Nummern zu Tage. Nur eben im zeitgenössischen Klanggewand.

Wen das überrascht oder traurig stimmt, der hat Herbie Hancocks Wirken leider vollkommen missverstanden.

Oft wird artig geklatscht. In Momenten der puren Energie auf der Bühne bleiben Rufe der Freude oder Entzückung aus. Ich hätte so gern das eine oder andere Mal… Hab mich aber wegen der verhaltenen Atmosphäre nicht getraut.

Mein Kumpel zeigt auf ein Pärchen vor uns. Ende 50, Anfang 60. Kommen ne gute halbe Stunde zu spät, nehmen ihre Plätze ein und daddeln sofort und die meiste Zeit in ihrem Smartphone. „Buchen die da etwa ihren Urlaub“, wundert sich mein Kumpel.

„Ich habe das Gefühl, da war auch eine größere Gruppe Gäste im Publikum, die waren nur da, weil man denen sagte, da muss man heute mal hin“, teilt uns mein Kumpel später noch mit. Stimmt, so fühlt sich das im Nachgang an.

Und dann is da eben auch das klassische Blue Note Publikum, die gern das Alte gehört hätten. Es sich gern mal gefällig-rückwärtsgewandt-eingelullt-dämmrig machen. Hach, die guten, alten Zeiten.

Nein, das ist eben genau nicht Hancock. Und gewiss auch nicht Jazz. Das gibt’s allenfalls beim Frühschoppen am Sonntag morgen mit der Dixiland-Kapelle. 

 

Erst gegen Ende bricht der Damm und die Band reißt die Menge von ihren Sitzen. Eine Erlösung! Vielleicht sogar für alle. Plötzlich gibt das Publikum Gas. Klatscht mit, ruft, wiegt sich im Rhythmus von „Chameleon“. Besser spät als nie.

Als der Schlusston erklingt ist plötzlich klar: das war die offiziell letzte Nummer. Herbie spricht und dankt noch ein bisschen, begibt sich an den Bühnenrand und dann passiert es:

Eigentlich wollte er nur vereinzelte Hände schütteln. Einige sind aufgestanden und haben sich ganz nach vorn an die Bühne begeben. Er schüttelt Hände. Es bleibt nur nicht dabei. Im Handumdrehen ergießt sich eine Autogrammdynamik, wie ich sie selten erlebt habe. Binnen weniger Sekunden strömen weitere von den Rängen und recken wie kleine Kinder ihre Platten, Poster und in Ermangelung an passendem Material ihre Konzerttickets empor.

 

Wir waren uns sicher: da käme doch noch ne Zugabe. Die wollen noch was spielen. Schließlich steht die Band noch parat an ihren Instrumenten und wartet. Der Strom der Geier ist nur zu lang. Plötzlich heißt es: „Tschüss und danke, wir müssen morgen früh raus.“

Das war ein seltsamer Moment für einen Abschluss. Und wir hätten gern noch was gehört.

Und wer weiß: vielleicht wäre es die versöhnend, klassische, elegische, sinnierende Nummer aus der „guten, alten“ Blue Note Zeit gewesen…

Das wird nun ewig ein Geheimnis bleiben. 

 

Danke Herbie Hancock und Band, danke Karsten Jahnke und Crew für diesen besonderen und für uns unvergesslichen Konzertabend. Ob es nun „105 Minuten“ waren oder 120 hätten sein können. Das is uns beiden vollkommen Wurscht.

 

Stay curious, grooved and keep your mind wide open!

 

 


 

Nachtrag

 

Gut, dass ich mir die Tage etwas Zeit gelassen habe mit dem Erstellen des Blogs.

Denn ich treffe zwischenzeitlich zufällig unseren Jazzdozenten aus dem Studium auf dem Wochenmarkt wieder. Klaus Ignatzek hat uns damals zusammen mit Klaus Fey das Studium der Musik neben den Theoriekursen auch mit der Spielpraxis versüßt. 

Klaus und ich wechseln ein paar Worte vor dem Kaffeestand. Er sei gestern auch später zu Bett. Habe eine Kollegin der Uni feierlich in den Ruhestand verabschiedet. Trotzdem stellen wir beide fest, dass wir doch heute ganz gut aussehen.

Als ich ihm von meinem Besuch in Hamburg erzähle, hakt er sofort ein und berichtet von seinen Begegnungen mit Herbie Hancock. Klaus war 1988 offenbar auf einer Art Workshop. Ob es im Mozarteum in Salzburg oder in München war, kann ich nicht mehr erinnern. Aus Klaus sprudelt es nur so hervor. Vom Austausch über Karrieremöglichkeiten, dem Unterrichten bis hin zum beinahe missglückten Discobesuch mit einem armverschrenkten Herbie, der stur vor der Tür des Ladens stehen bleibt und sagt: „Das sind meine Leute hier und wenn die wegen ihrer Kleidung hier nicht reinkommen, gehe ich wieder.“

Wir beide sind uns einig: Herbie Hancock hat sich seine suchende Neugier bewahrt und das steckt an.

 

Danke Kaus, für Deine geteilten Erinnerungen. 


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